von Maria Cristina Visentin – Zum Inhaltsverzeichnis
Die Geburt muss für die Menschen ein geheimnisumwobener, heiliger Vorgang gewesen sein. Vor allem früher war sie mit großer Gefahr und Verlust von Kontrolle verbunden. Auch belegen künstlerische Darstellungen, dass schon früh ein Zusammenhang zwischen Geschlechtsakt und Geburt hergestellt wurde, obgleich die Rolle des Mannes dabei unklar war.
So wurde noch im klassischen Griechenland (etwa von 500 bis 200 v.u.Z.) die medizinische Ansicht vertreten, die Befruchtung käme aus der Frau selbst, indem Samen aus in ihrem Körper vorhandenen Hoden in die Gebärmutter gelangten. Offensichtlich wurde Fortpflanzung zunächst vor allem als Frauensache verstanden.
Die Erkenntnisse über die menschliche Fortpflanzung wurden vielleicht aus Beobachtungen von Parallelen der Tierwelt, beispielsweise aus der Tierzucht gezogen, und auch mit der Fruchtbarkeit der Erde in Verbindung gebracht. Hierbei kann auch eine Rolle gespielt haben, dass Frauen der frühen Gemeinschaften in der Landwirtschaft arbeiteten, was zu dem Glauben führte, sie besäßen eine magische Gabe, durch die das Getreide wuchs.
Vermutlich wurde das weibliche, schöpferische Prinzip vor dem männlichen verehrt. Manche Funde von Göttinnen-Statuetten, die die Vorstellung einer Muttergöttin als Hervorbringerin allen Lebens widerspiegeln, werden auf bis zu 50.000 Jahre alt geschätzt. Vermutlich wurden Frauen aufgrund ihrer geheimnisvollen schöpferischen kraft sowohl geachtet als auch gefürchtet.
Weiblichen Gottheiten und mit ihnen der weiblichen Sexualität wurde ein lebenshervorbringender, fruchtbarer Aspekt, aber auch eine bedrohliche, aktive Macht zugeschrieben. Erst später wurde das Prinzip des Göttlichen als männlich verstanden, oft erfuhren Göttinnen eine Metamorphose sowie eine Geschlechtsänderung, bevor im Monotheismus alle Vorstellungen in einer einzigen männlichen Gottheit zusammengefasst wurden.
Tanzen beinhaltete früher vor allem einen imitativen Aspekt. Vermutlich dienten Zeremonien mit Tänzen, die durch Bewegungen des Beckens eine Imitation des Geschlechtsaktes oder auch der Geburt waren, zur Anregung der Fruchtbarkeit. Dabei verfolgte der Tanz eher einen magischen als einen sexuellen Zweck.
C. Sachs führt zeitgenössische Beispiele für Tänze mit ähnlichen Funktionen, beispielsweise in Westafrika, auf. Jedoch kann man die Sexualität hier nicht von dem Kult trennen, da der Geschlechtsakt früher als heilig galt und sogar eine Pflichterfüllung zur Gattungserhaltung beinhaltete [10].
In einigen Gegenden der Welt sind Geburtstänze, um Fortpflanzung und neues Leben zu zelebrieren oder aber auch zur Geburtsvorbereitung, bis heute verbreitet. Wendy Buonaventura erwähnt einen Artikel in der Zeitschrift Arabesque, in der die amerikanische Tänzerin Carolina Varga-Dinicu über eine Unterhaltung mit der saudi-arabischen Tänzerin Farab Firdoz berichtet, die die These vertritt, Bauchtanz sei aus dem Geburtstanz hervorgegangen, den unter anderem der Stamm ihrer Großmutter praktizierte.
Zum einen diente der Tanz zur Schmerzverminderung bei Wehen und Geburtsvorgang, zum anderen zelebrierte man die Geburt anschließend durch weitere Tänze, wobei eine kunstvolle tänzerische, mimische Wiederholung der Geburt stattfand. Carolina Varga-Dinicu habe 1967 in einem marokkanischen Dorf das Gleiche erlebt [11]. Der Zweck wird hierbei als religiös bezeichnet; somit scheint diese Theorie den Geburtstanz in Zusammenhang mit einem Fruchtbarkeitskult zu setzen.
Dass Beckenbewegungen tatsächlich zur Schmerzminderung und als geburtsbegleitende Technik seit Jahrhunderten bei natürlichen Geburten angewendet werden, könnte ein weiterer Hinweis auf eventuelle Ursprünge in instinktiven Bewegungen als natürliche Reaktion auf die Wehen sein. Zudem hockten oder knieten Frauen früher üblicherweise während des Geburtsvorgangs, was eine mimische Darstellung durch die Bodenarbeit während eines Tanzes nahelegen könnte [12].
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Über diese Arbeit
Dies ist Teil 2.2 der Seminararbeit Tanz in Ägypten. Ursprünge, Weiterentwicklung und Verbindungen zum heutigen Tanz von Maria Cristina Visentin.
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Fußnoten
[10] – Vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 23f. Nach oben.
[11] – Vgl. Ebd., S. 159. Nach oben.
[12] – Vgl. Ebd. S. 160f. Nach oben.