von Maria Cristina Visentin – Zum Inhaltsverzeichnis
Schon zu Beginn der Altsteinzeit siedelten am unteren Nildelta Menschen als halbnomadische Jäger und Sammler. In der Jungsteinzeit folgte ein Volk noch ungeklärter Herkunft, wurde allmählich sesshaft und betrieb Viehzucht und Ackerbau [5].
Sie waren eng mit der Natur und ihren Kreisläufen verbunden, feierten etwa die Wiedergeburt der Natur im Frühling, genauso wie sie Sonne, Mond, Tiere und Pflanzen verehrten. Schon in frühesten Zeiten hat sich die Menschheit mit der Herkunft des Seins, der Geburt des Universums beschäftigt; erst später wurden Naturphänomene durch Mythen erklärt [6].
Die ersten, aus dem Sudan stammenden hamitischen Siedler mit tiergestaltigen, weiblichen Gottheiten vermischten sich mit einem von Norden einziehenden semitischen Volk, welches menschengestaltige Götter verehrte. Diese siegten letztendlich über die tiergestaltigen; das Matriarchat wurde vom Patriarchat abgelöst und dämonisiert, sodass bis auf Hathor fast nur weibliche Gottheiten böse handelten.
Laut C. Sachs zeigt sich der Gegensatz der Geschlechter im Tanz. Der engbewegte Tanz mit seinen binnenkörperlichen Bewegungen wie etwa fruchtbarkeitsbeschwörende Bewegungen des Beckens sei auf den ruhigen Tanz der matriarchalischen Pflanzerkultur zurückzuführen; die weitbewegten, nach außen strebenden und springerischen Elemente seien der vaterrechtlichen Kultur zuzuschreiben [7].
Vermutlich wurde in der Vor- und Frühzeit hauptsächlich aus religiösen Gründen getanzt: feierliche Handlungen wie Fruchtbarkeits-, Ernte- und Initiationsriten wurden überwiegend von Frauen zur klatschenden oder klappernden Begleitung von Männern tänzerisch begangen. Daneben gab es Jagd- und Kriegstänze, die den Männern eine gute Beute sichern sollten. Sie konnten von Männern, aber auch von Frauen ausgeführt werden.
Auch die oft kreisförmigen Astraltänze, unter anderem zur Sonnen- oder Mondverehrung [8], Tänze zu Ehren der Götter Hathor und Amun, die strengen oder akrobatisch-exstatischen Beerdigungstänze im Zuge des Totenkults und die Tänze der Zwergtänzer (Pygmäen) für die ägyptischen Könige, nach denen vermutlich die Gestalt des Spaß- und Tänzergottes Bes geformt wurde, zählen zu den religiösen Tänzen. Bes hatte eine besondere Affinität zur Welt der Frauen; vermutlich sind Darstellungen von Musikerinnen mit Bes-Tattoos auf den Oberschenkeln von erotischer Bedeutung.
Ursprünglich waren Tänze nutzbringend und als Gemeinschaftstänze mit gesellschaftlicher Funktion notwendig. Oft waren sie in Zeremonien Mittel zum Ausdruck von Lebenskraft und für den Lebensprozess. Zahlreiche heute noch erhaltene Darstellungen zeigen, dass Tanzen als Ritual eine wichtige Rolle spielte. Erst später wurden die magischen Kulte zu reinen Schautänzen, wobei der Ursprung oft noch erkennbar ist.
Erste Darstellungen von Tänzerinnen, die zugleich Zeugnisse des geschichtlich nicht mehr fassbaren Matriarchats sind, liefert die Neqade 1 und Neqade 2–Kultur in Oberägypten. In dieser Zeit waren Instrumente zur Klangerzeugung bereits bekannt, die sich aus dem dämonenabschreckenden Handklatschen entwickelten: aus einfachen Gegenschlagidiophonen und Stabklappern wurden später Rasseln und Kastagnetten. Der kunstvoll gearbeiteten Form der Klapperinstrumente wurde eine magische Wirkung zugeschrieben, die wichtiger war als ihr Klang [9].
>> 2.2 Tanz in Zusammenhang mit Göttinnenverehrung und Geburt >>
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Über diese Arbeit
Dies ist Teil 2.1 der Seminararbeit Tanz in Ägypten. Ursprünge, Weiterentwicklung und Verbindungen zum heutigen Tanz von Maria Cristina Visentin.
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Fußnoten
[5] – Vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, 6 (Dezember), S. 17. Nach oben.
[6] – Vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 22. Nach oben.
[7] – Vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, S. 17, zit. nach Brun-ner-Traut, Emma (1974): Die Alten Ägypter. Verborgenes Leben unter Pharaonen. Stuttgart: Kohlhammer und nach Sachs, Curt (1976): Eine Weltgeschichte des Tanzes. Hildesheim/New York: Georg Olms-Verlag. Nach oben.
[8] – Sachs schreibt den Mondtänzen einen matriarchalen, den Sonnentänzen einen patriarchalen Hintergrund zu. Vgl. Seybert-Marklowski, Eva (Havva)( 1995): Tanz im Alten Ägypten. In: TANZOriental, S. 18, zit. nach Sachs, Curt (1976): Eine Weltgeschichte des Tanzes. Nach oben.
[9] – Vgl. Ebd., S. 17f.; vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 22; vgl. Manniche, Lise (1988): The Erotic Oboe in Ancient Egypt. In: Vogel, Martin (Hrsg.): The Archeology of Early Music Cultures. (Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik) Bonn: Verlag für systematische Musikwis-senschaft, S. 196f. Nach oben.