von Maria Cristina Visentin – Zum Inhaltsverzeichnis
Als Ghawāzī, Sg. Ghāziya رجغ werden in Ägypten Frauen bezeichnet, die ihren Unterhalt traditionell als öffentliche Tänzerinnen verdienen und so vermutlich teilhaben an der altägyptischen Tanztradition. Historisch gesehen handelt es sich um die wohl berühmtesten und umstrittensten der ägyptischen Tänzerinnen.
Berichten zufolge traten sie unverschleiert, geschmückt und geschminkt auf; ihre Hände und Füße waren mit Henna verziert und sie führten einen ihnen eigenen Tanzstil vor. Ghawāzī traten meist zu mehreren auf und verfügten über ein breites sowohl improvisiertes als auch choreographiertes Tanzrepertoire. Lane beschreibt ihre Vorstellung als sehr lasziv und hielt sie für gewöhnliche Prostituierte; auch anderen Quellen zufolge schien dies oft der Fall zu sein.
Laut Lane schrieben im 19. Jahrhundert sowohl sie selbst als auch ihr Umfeld den Ghawāzī eine andere, sie sowohl von anderen Ägyptern als auch von anderen ägyptischen Tänzern unterscheidende Herkunft als eigene Bevölkerungsgruppe oder Stamm zu, die generell innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft heiratete. Diese bleibt jedoch ungeklärt; die begrenzten Informationen scheinen oft widersprüchlich. Generell sind die Begriffe Ghawāzī, ʽawālim und Ghagar durcheinandergeraten und erscheinen austauschbar, was die Auswertung der Quellen schwierig macht.
Die Ghawāzī gelten als Zigeunerinnen. Walker stellt für verschiedene orientalische Länder unterschiedliche Bezeichnungen für diese Gruppe der Bevölkerung zusammen, die wie in Europa oft geringschätzig betrachtet wird. In Ägypten nennt er die Bezeichnungen Nawarī (Pl. Nawar) (auch Nūrī) sowie Ghagar und Ḥalabī (Pl. Ḥalab) für unterschiedliche Stämme.
Generell nehmen Zigeuner offiziell die Religion ihrer Umgebung an, bekennen sich also in Ländern wie Ägypten oder der Türkei zum Islam, obwohl ihnen abwertend ein abergläubisches Brauchtum nachgesagt wird. Im englischsprachigen Raum wird den Gipsies eine ägyptische Herkuft zugeschrieben [39].
Berichten zufolge hatten einige der Frauen ein großes Vermögen gemacht. Sie waren in fast jeder großen Stadt Ägyptens zu finden und zogen oft von einer Stadt zur anderen, wo sie zu religiösen oder anderen Festen auftraten. Von Reisenden wurden sie oft mit den ʽawālim (Sg. ʽālima, im ägyptischen Arabisch ʽālme, ʽālime: „gebildete Frau“) verwechselt; Lane unterscheidet sie jedoch.
Diese formten den Quellen aus dem 18. und 19. Jahrhundert zufolge eine Art Zunft von professionell in Gesang, Rezitation, Musik und Tanz gebildeten Frauen, die zu Festen unter anderem in Harems auftraten. Sie genossen ein größeres Ansehen, da sie in der Öffentlichkeit verschleiert blieben und keinen Umgang zu Männern pflegten.
Wendy Buonaventura schreibt, dass man aufgrund der zahlenmäßigen Überlegenheit von Tänzerinnen während der Herrschaft von Harun al Raschid im neunten Jahrhundert veranlasst hatte, einige umfassender in Kunst und Musik auszubilden. Diese waren bis zum 18. Jahrhundert bei der vornehmen Gesellschaft als Rezitatorinnen von Lyrik beliebt. Während der französischen Besatzung zogen sie sich aus Protest aus Kairo zurück und tauchten erst bei deren Rückzug wieder in der Stadt auf [40].
Vermutlich gaben sich die Ghawāzī manchmal auch als ʽawālim aus, vor allem in Zeiten, in denen ihre Kunst von der Regierung verboten war. Lane zufolge nannten sie sich Barāmika. Die Bezeichnung Ghāziya, deren Herkunft unklar ist, sei abwertend und werde von den Tänzerinnen selbst vermieden.
Die Forscherin Q. El-Moulouk schlägt vor, den Namen auf die syrische Bezeichnung für Goldmünzen und künstliche Münzen zurückzuführen, die traditionell für weiblichen Schmuck verwendet wurden. Die Ghawāzī trugen viele dieser Münzen und es war Brauch, ihnen Münzen als Trinkgeld mit der Zunge angefeuchtet auf Stirn, Kinn, Wangen und Lippen zu kleben [41].
Tanz war auch früher ein wesentlicher Bestandteil von Festen. Dabei war es unangemessen, außer zu besonderen Anlässen wie Hochzeit oder Geburt, Ghawāzī im Haus auftreten zu lassen; daher tanzten sie, normalerweise von Musikern ihres Stammes begleitet, im Freien, auf dem Marktplatz oder in Höfen. Lane zufolge waren sie nicht selten auch bei wohlhabenderen Männern zu Gast, wobei er über Alkoholgenuss berichtet, und traten zu Festen in Harems auf.
Auch bei den zahlreichen westlichen Orientreisenden waren sie in Bezug auf Schönheit oder Unschicklichkeit ihrer Erscheinung und ihres Tanzes sehr umstritten. Etwa Leland konnte sie nur noch in Oberägypten sehen, da 1834 aufgrund der raschen Modernisierung unter Statthalter Muḥammad ʽAlī aus Kairo verbannt worden waren.
Dieser orientierte sich an westlichen Vorbildern, um im gesamten Land einen Modernisierungsprozess zur Beseitigung ökonomischer Rückständigkeit einzuleiten. Dieser erstreckte sich auch auf die Kultur, so auch auf den Tanz der Ghawāzī als Volkskunst. Der Bann der Tänzerinnen in drei Städte am Nil wurde mit Strafen bei Widersetzung belegt.
Ihr Verschwinden trug zu einer Steuererhöhung bei, denn Lane zufolge hatten sie etwa zehn Prozent aller in Kairo erhobenen Steuern gezahlt. Damals war es für wohlhabende Kairoer sehr üblich, für private Feste Tänzerinnen zu engagieren, die sie weiterhin ausfindig machen konnten, obwohl sie aufgrund des Bannes öffentlichen Tanzes und Prostitution nicht mehr für Passanten auftreten durften.
Eine weitere Folge war, dass nun tanzende junge Männer, als Tänzerinnen verkleidet und mit langen Haaren an ihre Stelle traten. Sie kamen oft aus Konstantinopel, wo sie um das Jahr 1805 sowohl sehr beliebt als auch stark umstritten gewesen waren. 1837 ächtete und bannte sie Sultan Mahmud und bewirkte so ihre Flucht nach Kairo. Dort konnten sie von der Abwesenheit der Straßentänzerinnen profitieren.
Sie verkleideten sich als Tänzerinnen mit Schmuck und langen Haaren und ahmten bewusst die weiblichen Bewegungen des Tanzes der türkischen Çengi, die im Türkischen in etwa den Ghawāzī entsprechen, nach. So galten sie als noch anzüglicher.
Berichten zufolge waren die Tänzer meist griechischer, armenischer oder jüdischer Herkunft, da unter Türken der Tanzberuf etwas Degradierendes darstellte. Kate McGowan schreibt, die meisten der umstrittenen Tänzer und Tänzerinnen der osmanischen Gesellschaft seien Zigeuner gewesen: den Begriff Çengi führt sie auf Çingene („Zigeuner“) zurück [42].
Erst 1854 konnten die Ghawāzī offiziell zurückkehren. Auch heute kann man eine von Jungen aufgeführte Parodie des weiblichen Tanzstils gelegentlich in orientalischen Ländern sehen, wobei das Kostüm in der Regel nicht mehr zu Verwechslungen mit Tänzerinnen führt. Dabei war der professionelle Tanz im Wesentlichen immer ein Beruf der Frauen. Doch sind generell die Bewegungen im Laufe der Zeit so in das allgemeine Tanzrepertoire eingegangen, dass sie von beiden Geschlechtern ausgeführt werden [43].
Laut Wendy Beonaventura gab es bereits etwa Mitte des 19. Jahrhunderts die Unterscheidung zwischen Ghawāzī und ʽawālim nicht mehr. In einer Studie (1982) einer Ghagar-Gemeinschaft in Ägypten zählt Nabil Sobhi Hanna Tanz und Gesang zu einer der verbreitetesten Beschäftigung; dabei nennt sie die Tänzer der Ghagar „Ghawāzī“. Obwohl es den Ausübenden dadurch finanziell gut geht, seien sie sogar von Angehörigen ihrer eigenen Gemeinschaft geringgeschätzt und isoliert.
Laut Berger (1965) werden in ägyptischen Städten sowohl Tänzerinnen als auch Sängerinnen umgangssprachlich mit ʽalma bezeichnet, während in Dörfern die Tänzerin noch oft Ghāziya genannt wird; beide müssen nun von der besser ausgebildeten und bezahlten راقصات Rāķișat („orientalische Tänzerin“) unterschieden werden, die auf Privatfesten, in Filmen und modernen Nachtclubs auftritt.
Womöglich werden in der Bezeichnung für diese Gruppe von Unterhaltungskünstlerinnen alle drei, sowie nicht-stammeszugehörige Ausübende, zusammengefasst: Tänzerinnen kommen nicht mehr von einem bestimmten Stamm, sondern meist aus städtischen Familien mit einem niedrigem Einkommen. Ihre Tanzlehrerinnen werden manchmal ebenfalls ʽawālim genannt [44].
>> 6. Schluss und Stellungnahme >>
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Über diese Arbeit
Dies ist Teil 5 der Seminararbeit Tanz in Ägypten. Ursprünge, Weiterentwicklung und Verbindungen zum heutigen Tanz von Maria Cristina Visentin.
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Fußnoten
[39] – Vgl. Walker, J. (1995): Nūrī. In: Bosworth, C.E.; Van Donzel, E.; Heinrichs, W.P.; Lecomte, G. (Hrsg.): The Encyclopaedia of Islam. Volume VIII Ned-Sam. Leiden: E.J. Brill, S. 138f.; vgl. Rodinson, M. (1960): ʽĀlima. In: Gibb, H.A.R.; Kramers, J.H.; Lévi-Provençal, E.; Schacht, J.: The Encyclopaedia of Islam. Volume I A-B. Leiden: E.J. Brill; London: Luzac&Co., S 403f.; vgl. Saleh, Magda (1987): The Ghawazi of Egypt. A preliminary Report, S. 9f., S. 17f., zit. nach Moulouk, Qamar El: The Mystery of the Ghawazi. In: Habibi, III: 11, S. 8. Nach oben.
[40] – Saleh, Magda (1987): The Ghawazi of Egypt. A preliminary Report, S. 12, zit. nach Lane, Edward W.: The Modern Egyptians; vgl. Berger, M. (1965): Ghāziya. In: Lewis, B.; Pellat, Ch.; Schacht, J. (Hrsg.): The Encyclopaedia of Islam. Volume II C-G. Leiden: E.J. Brill; London: Luzac&Co., S. 1048; vgl. Rodinson, M. (1960): ʽĀlima. In: The Encyclopaedia of Islam. Volume I A-B, S.403f.; vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 45. Nach oben.
[41] – Vgl. Saleh, Magda (1987): The Ghawazi of Egypt. A preliminary Report, S. 11, zit. nach Lane, Edward W.: The Modern Egyptians; S. 14, zit. nach Moulouk, Qamar El: The Mystery of the Ghawazi. In: Habibi, IV: 11, S. 11; vgl. Berger, M. (1965): Ghāziya. In: The Encyclopaedia of Islam. Volume II C-G, S. 1048. Nach oben.
[42] – Vgl. Ebd., S. 45, 54ff.; vgl. Saleh, Magda (1987): The Ghawazi of Egypt. A preliminary Report, S. 15, zit. nach McGowan, Kate (Suheyla)(1982): Sing Gypsy! Dance Gypsy! Part III. In: Arabesque. VIII, 1 (May/June), S. 22. Nach oben.
[43] – Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 56ff. Nach oben.
[44] – Vgl. Buonaventura, Wendy (1993): Bauchtanz. Die Schlange und die Sphinx, S. 45; vgl. Saleh, Magda (1987): The Ghawazi of Egypt. A preliminary Report, S. 16, zit. nach Hanna, Nabil Sobhi (1982): Ghagar of Sett Guiranha. A Study of a Gypsy Community in Egypt. (Cairo Papers in Social Science, Vol. V, Monograph 1) Kairo: American University in Cairo; vgl. Berger, M. (1965): Ghāziya. In: The Encyclopaedia of Islam. Volume II C-G, S. 1048. Nach oben.